Bitte beachten

Am 3. August 2022 wurde der Verein Aktion gute Schule e. V. aufgelöst. Der Vorstand sah keine Vorteile in der Vereinstruktur. Auch die sinnvolle Teilhabe an der Mitgestaltung der Bildungslandschaft ist unter den aktuellen Bedinungen schwierig. Unsere Grundidee, sowie die Homepage bleiben jedoch auch ohne Vereinsstruktur bestehen. Sicher werden wir in unserem Rahmen auch weiterhin punktuelles Engagement leben.

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Jürgen Tonkel




Was denken Sie über die Chancengleichheit (Bildung ist abhängig vom Stand der Eltern) im deutschen Schulsystem?

Ja, Bildung ist abhängig vom Stand der Eltern und nur wenige schaffen es, diese „unsichtbare soziale Membran“ zu durchstoßen. Das zeigen mir meine eigenen Erfahrungen im engsten Familienkreis als auch mein eigener Lebensweg. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie und bin der einzige aus meiner Familie als auch meiner riesigen Verwandtschaft, der jemals eine höhere Schule besucht hat. Ich selbst wurde 1972 nur auf Anraten und großem Druck meines Grundschul-Lehrers auf eine höhere Schule geschickt. Die Tatsache, dass ich das Gymnasium erfolgreich abschloss, führte nicht dazu, dass es mir irgendjemand gleichtat, sondern dass ich eher als ein merkwürdiger Fremdkörper in der Verwandtschaft wahrgenommen werde. Chancengleichheit empfinde ich heute weniger als zu meiner Schulzeit. Ich konnte mich ohne zusätzliche Hilfe (mit dezenter Nachhilfe hier und da) durch die Schule arbeiten, während ich heute – bedingt auch durch das G8 – ständig überforderte Schüler beobachte, die ohne große elterliche Mithilfe, professionalisierte Nachhilfe und übermäßiges Lernen gar nicht mehr eine höhere Schule bewältigen könnten. Dies trifft umso mehr auf Migranten und Mitbürger aus bildungsfernen Schichten zu. Bildung muss man sich heute mehr denn je leisten können.

Was halten Sie von der frühen Selektion (nach der vierten Klasse)?

Nichts. Eine Selektion sollte in jedem Falle später stattfinden. Am besten nach der sechsten Klasse. Persönlichkeit als auch Talente sind dann viel ausgereifter und der persönliche Weg der Kinder klarer erkennbar.

Wie stehen Sie dazu, dass Schule in Deutschland Ländersache ist – also das Schulsystem in jedem Bundesland unterschiedlich ist?

Ich könnte mir ein einheitliches Schulsystem vorstellen. Allerdings stellt sich die Frage, wer da auf wen zugeht. Bewegt man sich hin zu einer strengeren Schulbildung (Bayern) oder kommt man Ländern entgegen, wo ein Abschluss „einfacher“ ist. Grundsätzlich halte ich multiple Möglichkeiten der Schulausbildung für zeitgemäß.

Wie beurteilen Sie die Aussage: “unser Schulsystem ist überaltet”?

Unser Schulsystem bedarf in jedem Fall einer Überarbeitung und Neuaufstellung. Es müssen viele Dinge kritisch hinterfragt werden, aber das Beispiel „G8“ zeigt, dass „neu“ nicht unbedingt „besser“ bedeuten muss. Als „G8“-Gegner führe ich folgende Argumente an:
- Größerer Lerndruck
- Schlechtes Verhältnis von Lernen – Entspannung/Freizeit
- Schlechtere Möglichkeiten der individuellen Entwicklung von Kindern
- Vernachlässigung der Entwicklung von Fähigkeiten wie INTERPRETATION, TRANSFER, SOZIALINTELLIGENZ, ANALYTISCHEM DENKEN etc.
- Noch größere Hürde für Migranten und Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen, Bildung zu erlangen
- Überschwemmung der Universitäten mit „unfertigen“ und viel zu jungen, oft noch minderjährigen Studenten
- Hohe Drop-Out Quote bzw. viele Studienabbrecher in den ersten Semestern an den Universitäten
- U.v.m.

Wie denken Sie über die derzeitige Lehrerausbildung – sollte diese nicht den geänderten Anforderungen unserer Gesellschaft angepasst werden?

Ja, die Lehrerausbildung sollte angepasst werden.

Wie stehen Sie zu der Aussage: “Schulnoten sind in der Kritik, weil sie Leistungsdruck erzeugen und keine repräsentative Leistungsbeurteilung erlauben”?

Ich bin ein Befürworter von Schulnoten, es sollte allerdings mit einer individuellen Beurteilung gekoppelt sein. Kinder müssen auch lernen, mit Druck und Leistungsdruck umgehen zu können.

Was halten Sie von längerem gemeinsamem Lernen? (Auch ältere Schüler können von Jüngeren lernen)

Gemeinsames Lernen halte ich für sehr wichtig, auch außerhalb des Klassenverbandes, weil es viele soziale Aspekte beinhaltet, die über das eigentliche Lernen hinausgehen.

Was sind Ihre eigenen Erfahrungen aus Ihrer Schulzeit?

Grundsätzlich blicke ich auf eine schöne Schulzeit zurück.
Meine Grundschulzeit erlebte ich an einer fast anachronistischen Dorfschule mit zwei Jahrgängen in einem Klassenzimmer und zwei Lehrern für die gesamte Schule. Gemütlich, liebevoll, einfach.
Mein Start am Gymnasium war schwer und verzweifelt. Dann aber habe ich meinen Weg gefunden. Ich habe die Schule nie gewechselt und die letzten Jahre am Gymnasium habe ich genossen, obwohl ich nicht der beste Schüler war. Im Rückblick weiß ich, dass ich an einer strengen aber guten Schule war, mit viel Anspruch, aber auch viel Anreiz und starken sozialen Bindungen. Bis heute trifft sich unser Abitur-Jahrgang (1981) regelmäßig, um in großer Zahl zusammen zu kommen.

Jürgen Tonkel ist ein deutscher Schauspieler

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