Pädagogik-Experten erklären in Stuttgart, weshalb ein Unterricht ohne Konkurrenzdruck allen hilft. Und was Lehrer anders machen sollten.

Stuttgart - Wie Lernen gelingen kann? Tja, das würden alle gern wissen. Bei einer Podiumsdiskussion im Literaturhaus haben zwei Vertreter preisgekrönter Schulen berichtet, was sie alles anders machen und weshalb das herkömmliche Bildungssystem samt Referendarsausbildung viele Beteiligten nur ins Hamsterrad treibt, Stress und Erschöpfungsdepression inklusive. Eingeladen hatten die Heinrich-Böll-Stiftung, die Breuninger-Stiftung und die Robert Bosch Stiftung.

 

Dass eine neue Lernkultur notwendig ist, steht für Margret Rasfeld außer Frage. Die Leiterin einer mehrfach ausgezeichneten Berliner Gemeinschaftsschule und Mitbegründerin der Initiative „Schule im Aufbruch“ findet, dass Noten den Konkurrenzdruck fördern. „Bei uns gibt es Noten erst ab Klasse neun.“ Von differenzierten Leistungsrückmeldungen hätten die Schüler mehr. In Zeiten, in denen sich der Arbeitsmarkt radikal verändere und die Arbeit immer komplexer werde, brauche man „keine Pflichterfüller, sondern Menschen, die sich mutig engagieren“.

Neue Schulfächer: Verantwortung – und Herausforderung

Deshalb gebe es an ihrer Schule zwei neue Fächer: Verantwortung – und Herausforderung. Im ersten Fall übernehme jeder Schüler eine verantwortungsvolle Aufgabe im Gemeinwesen. So erlebten zwölfjährige Schülerinnen, die als Hilfslehrer jüngeren Schülern in einer Brennpunktschule im Wedding Mathe oder andere Dinge erklären: „Ich bin wichtig.“ Und dieses Erlebnis der Selbstwirksamkeit verändere etwas – bei den Schülern und beim Schulklima. Im Fach Herausforderung müsse jeder Schüler der Klassen acht, neun und zehn sich eine Herausforderung außerhalb der Stadt suchen und diese meistern. Über ihre Erfahrungen berichteten die Schüler auch in Lehrerfortbildungen. „Handeln“, sagte Rasfeld, „lerne ich nur durch Handeln.“

Martina Mayer, Vizeleiterin der Gemeinschaftsschule in der Taus in Backnang und Gewinnerin des Deutschen Schulpreises, räumte ein: „Wir haben uns gelöst vom Bildungsplan – wir lernen in Projekten und Lernbüros.“ Da bei ihnen die Gemeinschaftsschule bereits in der ersten Klasse beginne, hätten die Eltern keine Wahl gehabt: „Es gab einfach keine Noten mehr in der Grundschule.“ Das sei für viele Eltern schwierig gewesen, doch habe man sie durch die Entwicklungsgespräche von der neuen Lernkultur überzeugen können. Wie sie mit Leistungsunterschieden umgehe? Ganz einfach. Es gebe für jedes Kind eine Eingangsdiagnose und einen individuellen Förderplan – auf passendem Niveau.

„Lehrer müssen lernen, Schüler wahrzunehmen“

Doch um Schülern eine neue Lernkultur zu vermitteln, müssten auch die Lehrer für Neues aufgeschlossen sein und sich vom Alten lösen, sagte Helga Breuninger. Aber das erfordere Mut. Die Geschäftsführerin der Breuninger-Stiftung entwickelt ganz neue Wege der Lehrerfortbildung. Was Pädagogen lernen müssten? „Sie müssen lernen, Schüler wahrzunehmen, und souverän bleiben, egal was passiert.“ Entscheidend sei auch, „spüren zu lernen, wann eine Atmosphäre unproduktiv wird – und wie man sie wieder produktiv macht“. Mit mitgebrachten Videosequenzen machte Breuninger dem Publikum deutlich, dass es dabei vor allem um Wertschätzung geht. Darum, Schüler, aber auch Eltern ernst zu nehmen.

Letztere, da war man sich im Saal einig, sollten den Kindern mehr zutrauen – ebenso wie die Lehrer. „Man kann als Schüler wenig aktiv mitgestalten“, berichtete ein Schüler – „da gibt’s auch nicht so den Masterplan.“ Dies könnte für die Bosch-Stiftung ein Grund mehr sein, den Deutschen Schulpreis auszuloben. „Unser Ziel ist es, die zugrunde liegende Praxis zu finden und dieser guten Praxis eine Stimme in der Öffentlichkeit zu verleihen“, sagte Olaf Hahn von der Bosch-Stiftung.