DGB-Studie:Hauptschüler werden zu staatlich geprüften Abgehängten

Viele Betriebe stellen übertriebene Anforderungen an ihre künftigen Azubis. Dabei hätten gerade motivierte Hauptschüler eine Chance verdient.

Ein Kommentar von Roland Preuß

Man kann es ja nachempfinden: Welche Firma hätte nicht gerne die Besten eines Jahrgangs als Auszubildende? Nach dem Motto: Eine Eins in allen Abiturfächern, aber weil es mit dem Chemiestudium nicht klappt, können Sie bei uns als Einzelhandelskauffrau anfangen. So kann man die Idealvorstellung vieler Chefs zuspitzen. Für den einzelnen Betrieb mag das sinnvoll sein, im großen Ganzen aber erwachsen daraus Probleme. Jugendliche mit Hauptschulabschluss werden häufig von Lehrstellen von vornherein ausgeschlossen, wie nun eine Studie des DGB gezeigt hat. Die Firmen verlangen mittlere Reife oder sogar Hochschulreife für eine Bewerbung.

Hauptschüler werden verdrängt

Damit verliert der Hauptschulabschluss weiter an Wert, die Unternehmen selbst setzen eine Abwärtsspirale in Gang. Der Abschluss nach der neunten Klasse galt schon bisher nicht als Krönung der Bildungskarriere. Wenn er nun aber in fast zwei von drei Stellenangeboten nicht einmal mehr als Zugang zu einer Berufsausbildung taugt, verkommt er zum Dokument für staatlich geprüfte Abgehängte.

Der Ruf des Hauptschulabschlusses leidet weiter, noch weniger Betriebe werden bereit sein, Hauptschüler aufzunehmen. Und den Schulen fällt es noch schwerer, Jugendliche für diesen Abschluss zu motivieren. Sie werden verdrängt von Bewerbern mit mittlerer Reife oder Abitur, die sich unter den Auszubildenden immer mehr Plätze erobern.

Warum muss ein künftiger Koch unbedingt mittlere Reife haben?

Zum Teil hat das seine Berechtigung. Viele Ausbildungsberufe sind anspruchsvoller geworden. In einer Autowerkstatt reicht es nicht mehr, Getriebeschäden und Achsbrüche zu meistern. Autos sind komplexer geworden, sie stecken voller Chips und Kabelbäumen, die Betriebe haben sich daran angepasst und bilden Kfz-Mechatroniker aus, die sich dem komplizierten Zusammenspiel von Mechanik und Elektronik widmen. Dafür bildet die mittlere Reife eine gute Grundlage.

Dieser Grundstock an Schulwissen ist aber bei Weitem nicht in allen Ausbildungsberufen vonnöten. Müssen Köche oder Hotelfachmänner wirklich immer die mittlere Reife mitbringen? Muss die Einzelhandelskauffrau tatsächlich einen Hochschulzugang vorweisen, so wie es der DGB für Hunderte Fälle festgestellt hat? Auch motivierte Hauptschüler haben hier eine Chance verdient. Ausgerechnet Restaurants und Hotels, die heftig über Bewerbermangel klagen, stellen oft solch übertriebene Anforderungen. Die Unternehmen können selbst etwas dagegen tun.

Den Trend zu höheren Schulabschlüssen muss und soll man damit nicht aufhalten, doch das Verlangen nach höherwertigen Zeugnissen muss begründet sein. Der Staat kann seinen Anteil leisten, um den Jugendlichen bessere Chancen zu ermöglichen: indem er nach dem Hauptschulabschluss attraktive Angebote für höhere Abschlüsse macht, indem er Jugendliche individuell fördert, um mehr herauszukitzeln als bisher. Auch hier gilt: Die Jugendlichen mit Hauptschulabschluss haben eine bessere Chance verdient.

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